Dienstag, der 13. Mai 1873:
Das Verschwinden der kleinen Minna Löding
(Berliner Kriminalgeschichte)

Im Jahr 2018 wurden nach Angaben des Bundeskriminalamtes mehr als 11.000 Menschen in Deutschland vermisst – darunter mehr als 7000 Minderjährige. In den meisten Fällen klärt sich das Verschwinden nach wenigen Tagen auf, aber es gibt auch Fälle, bei denen die Vermissten vor vielen Jahrzehnten verschwanden. Die Berliner Polizei bittet auf ihrer Internetseite um Mithilfe bei aktuellen Fällen vermisster Personen. Wenn Sie Hinweise zum Aufenthaltsort einer der gesuchten Personen haben, melden Sie sich bitte unter den dort angegebenen Kontaktdaten.

Natürlich ist auch die Geschichte Berlins reich an Fällen, in denen eine Person unter ungeklärten Umständen aus dem Umfeld ihrer Angehörigen verschwand. Einen solchen Fall meldete die Berliner Gerichtszeitung in ihrer Ausgabe vom 13. Mai 1873. Vier Tage zuvor war die achtjährige Minna Löding in Berlin als vermisst gemeldet worden, nachdem sie zuletzt an diesem Tag (Freitag, der 9. Mai 1873) nachmittags um 4 Uhr gesehen worden war. Minna Löding war im Jahr 1864 oder 1865 geboren worden. In ihren ersten Lebensjahren erlebte sie den deutsch-französischen Krieg und die Gründung des Deutschen Reiches 1871. Zum Zeitpunkt, als das kleine Mädchen spurlos verschwand, ereignete sich die Gründerkrise, die ausgehend von einer Börsenpanik in Österreich, schnell auch die Aktionäre in Deutschland ergriff und zu turbulenten Kursverfällen an den Börsen in Wien, London, New York und Berlin führte. In der Hauptstadt führten die finanziellen Unruhen auch zu teils chaotischen Szenen und einer verunsicherten Bevölkerung. Es ist aber unklar, ob die Geschehnisse unmittelbar mit dem Vermisstenfall im Zusammenhang standen.

Minna Löding war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens „von zarter Statur, hat kurz geschnittenes blondes Haar, große schwarze Augen und war mit einem rothen Kleide, weißer Schürze und braunem Strohhut bekleidet“, wie die Berliner Gerichtszeitung weiter berichtete. Ein Erscheinungsbild, das sicher auf viele Kinder in den Straßen Berlins dieser Zeit zutraf und die Ermittlungen nicht zwingend erleichterten. Vier Tage, nachdem Minna Löding in Berlin zuletzt gesehen wurde, waren ihre Eltern zutiefst beunruhigt. Die Meldung der Berliner Gerichtszeitung schließt mit den Zeilten: „Die tief bekümmerten, Alexandrinenstraße 108 wohnhaften Eltern bitten mittels Schulenanschlages alle Diejenigen, welche Auskunft über den Verbleib des Kindes geben könnten, ihnen solche ungesäumt zukommen zu lassen.“ Der Wohnsitz der Familie in der Alexandrinenstraße befand sich in Kreuzberg am heutigen Lobecksportplatz. Im Fall Minna Löding nahm die Geschichte eine glückliche Wendung. Zwei Tage nach dem Bericht, meldete die Berliner Gerichtszeitung vom 15. Mai 1873, dass Minna, „deren Verschwinden die Litfaßsäulen anzeigten“ sich wohlbehalten bei ihrer Großmutter gefunden hätte.

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Biographische Zusammenstellung / Autor: Anika Kosfeld
Lektorat: Daniel Funke

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Quellen:

  • Kauperts Straßenführer durch Berlin. Straßenverzeichnis Berlin. Online unter: https://berlin.kauperts.de/Strassenverzeichnis (zugegriffen am 15. Oktober 2021).
  • Historische Stadtansichten – Pharus Plan der Stadt Berlin 1932. Kleine Ausgabe hrsg. von Rolf Bernstengel.
  • Berliner Gerichtszeitung: Zeitschrift für Criminal-, Polizei- und Civilgerichtspflege des In- und Auslandes. Meldung zum Vermisstenfall Minna Löding. Ausgabe 54/1873 vom 13. Mai 1873, S. 3.
  • Berliner Gerichtszeitung: Zeitschrift für Criminal-, Polizei- und Civilgerichtspflege des In- und Auslandes. Meldung zum Vermisstenfall Minna Löding. Ausgabe 55/1873 vom 13. Mai 1873, S. 2.
  • Polizei Berlin: Polizeimeldungen. Vermisste Personen. Online unter: https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/vermisste (zugegriffen am 15. Oktober 2021).