Donnerstag, der 15. Mai 1873:
Berliner Krokodile auf der Wiener Weltausstellung
(Berliner Geschichte)
Die Geschichte der internationalen Weltausstellungen begann im Jahr 1851 mit der „Great Exhibition“ im „Crystal Palace“ in London. Sie war ein Symbol einer durch moderne Transportmittel zusammenwachsenden Welt, die ihre Handelskapazitäten und Wirtschaftskraft der Weltöffentlichkeit vorstellen und präsentieren wollte – natürlich bedeutete das in erster Linie und in kolonialistischer Manier, die Ansprüche einer auf den euroamerikanischen Raum konzentrierten normativen weißen Mehrheitsgesellschaft gerecht zu werden. 1873 fand die Weltausstellung in Wien als erste im deutschsprachigen Raum statt. Österreichs Staatsführung erhoffte sich nach den jüngst verlorenen Kriegen gegen Frankreich (1859) und Preußen (1866) mit der Ausstellung einen Ansehensgewinn, der sein wieder gewonnenes Selbstbewusstsein im europäischen Raum widerspiegeln sollte. Wie die Berliner Gerichtszeitung vom 13. Mai 1873 unter der Meldung „Nicht nur Barbiere und Kellner verlassen Berlin und eilen zur Wiener Weltausstellung“ berichtete, traten die Verantwortlichen dazu auch an Händler der Stadt Berlin heran, und baten um hier domestizierte „Alligatoren und Krokodile“. Denn, so fuhr der Bericht fort, das
„Wiener Aquarium macht nämlich noch schnell alle Anstrengungen, um sich seinen Gästen, welche durch die Berliner und Hamburger Aquarien verwöhnt sind, auf der Höhe der Zeit zu präsentieren, und hat aus unseren berühmten Effeldt´schen Reptiliensammlung hier – durch die Seltenheit der Exemplare die bedeutendste Privatsammlung des Continents – 4 Alligatoren, 1 vorzüglich schönes Krokodil und 12 Schildkröten von seltener Art käuflich erworben.“
Nicht von ungefähr wandten sich die Wiener an Rudolf Effeldt (1821–1876), der in dieser Zeit eine Koryphäe seines Fachgebiets war. Der gebürtige Berliner war seines Zeichens Herpetologe und Fledermausforscher und hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Ruf als bedeutendste Sammler lebender Reptilien in Mitteleuropa erworben. Besonderen gefallen hatten die Wiener offenbar an den Alligatoren gefunden, die dadurch besonders interessant waren, so fuhr die Berliner Gerichtszeitung fort,
„daß sie ganz jung in die Hände des genannten Zoologen kamen, der sie in seinem Zimmer auferzog, indem er ihnen künstlich das Klima und das immer gleichmäßig warme Wasser ihrer Heimath verschaffte und sie mit Fischen und Fleisch ernährte.“
Nicht nehmen lassen wollten sich der Redakteur offenbar ein rassistisches Bonmot, mit dem er fortfuhr: „Die heimatlichen Leckerbissen, die saftigen Schenkel eines feisten Negers konnte er ihnen allerdings nicht bieten.“ Dieser Satz ist auf so viele Arten fehlerhaft und plump, dass hier nicht näher auf seine Problematik eingegangen werden kann. Er dürfte aber auch den einigermaßen gebildeten Berliner Leser des 19. Jahrhundert aufgestoßen sein. Zum Zeitpunkt der Meldung befanden sich die Tiere auf ihrem Weg zur Weltausstellung. Am 2. November 1873 endete die Ausstellung, die aus verschiedenen Gründen weit hinter den Erwartungen der Macher zurückbleiben sollte, in der Folge allerdings einen wichtigen Impuls auf den Urbanisierungsprozess Wiens ausübte.
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Biographische Zusammenstellung / Autor: Anika Kosfeld
Lektorat: Daniel Funke
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Quellen:
- Werner Rieck / Arthur Hinkel: Rudolf Effeldt (1821–1876), ein fast vergessener Berliner Herpetologe und Fledermausforscher. In: Nyctalus, Berlin 16 (2011), Heft 1-2, S. 108–118.
- Berliner Gerichtszeitung: Zeitschrift für Criminal-, Polizei- und Civilgerichtspflege des In- und Auslandes. Meldung zur Weltausstellung Wien. Ausgabe 54/1873 vom 15. Mai 1873, S. 2.
- Wolfgang Kos / Ralph Gleis (Hrsg.): Experiment Metropole – 1873: Wien und die Weltausstellung, Wien 2014.