Donnerstag, der 15. Mai 1873:
Eine vergiftete Beziehung und ein mörderischer Verdacht
(Berliner Kriminalgeschichte)

Viele Giftmorde bleiben unerkannt – und nur wenige erreichen shakespearesche Höhen. Die überwiegende Anzahl ereignet sich aus profanen Gründen im Familienkreis oder im Haushalt: Die Motive können Geldgier, Missgunst oder auch nur eine Kränkung sein. Oder der Wunsch, jemanden ins Jenseits zu befördern, reift aus jahrelangen Verletzungen und Streit. Im Frühjahr 1873 beschlich die Berlinerin Frau Müller ein unerhörter Verdacht. Nachdem sie zum Abendmahl eine Suppe zu sich genommen hatte, wurde sie von einem körperlichen Unbehagen ergriffen, der in ihr den Verdacht keimen ließ, dass es sich nicht nur eine Unverträglichkeit und Magenverstimmung als körperliche Reaktion auf ihre Mahlzeit handelte, sondern dass der Suppe Gift beigemengt wurde. Die Mehlsuppe, die sie aß, war von ihrer Köchin zubereitet und serviert worden und die Beziehung zu dieser war in der letzten Zeit getrübt gewesen und von ständigen Streitigkeiten überschattet. Konnte es sein, dass ihre Köchin ein Mordkomplott gegen sie geschmiedet hatte? Frau Müller ließ der Gedanke und ihre Magenkrämpfe keine Ruhe und sie wandte sich an die Berliner Polizei, die umgehend die Überreste ihrer vermeintlichen Henkersmahlzeit sicherstellte. Die Reste der Mehlsuppe sollten Licht ins Dunkel der Anschuldigungen bringen.

So berichtete es die Berliner Gerichtszeitung vom 15. Mai 1873, die meldete, dass die

„unverheiratete Müller unter so heftigen Magenschmerzen [litt], daß die Befürchtung Platz Griff die Suppe sei vergiftet, weshalb der Rest der Suppe mit Beschlag belegt, einem in der Nähe wohnenden Apotheker zur Untersuchung vorgelegt wurde“.

Sollte der Apotheker Belastendes zu Tage fördern, so drohten der Köchin nach dem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1871 empfindliche Strafen von bis zu zehn Jahren Zuchthaus, sofern sie nur die Absicht hatte, die Gesundheit von Frau Müller anzugreifen, und noch weitergehende Strafen sollte die Giftbeimengung mit Tötungsabsicht erfolgt sein. Und wirklich erkannte der Apotheker laut der Meldung der Berliner Gerichtszeitung, dass die „Suppe Theile von Phosphor“ enthielt. Arsen, Phosphor und Strychnin waren im 19. Jahrhundert die beliebtesten Mittel zur Bekämpfung von Ungeziefer – als potente Gifte in dieser Funktion aber nur Kammerjägern zugänglich. Weißer Phosphor konnte nach oraler Aufnahme Kollaps, Atemlähmung, Koma, Erbrechen, Durchfall, Nieren- und Leberschäden zur Folge haben. Nur ist seine Resorption über die Schleimhäute langsam, so dass eine sofortige Reaktion ungewöhnlich ist – wobei über die festgestellte Konzentration in der Zeitungsmeldung keine Aussage getroffen wurde. Jedenfalls reichte den Strafverfolgungsbehörden die Indizien für eine Verhaftung der Köchin. Die Gerichtszeitung schloss mit den Zeilen:

„Die verhaftete Köchin bestreitet, die That begangen zu haben. Eine Gefahr für die Fr. Müller ist nach Aussage des Arztes nicht vorhanden.“

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Biographische Zusammenstellung / Autor: Josefine Gärtner
Lektorat: Daniel Funke

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Quellen:

  • Berliner Gerichtszeitung: Zeitschrift für Criminal-, Polizei- und Civilgerichtspflege des In- und Auslandes. Meldung „Nach dem Genusse einer Mehlsuppe“. Ausgabe 54/1873 vom 15. Mai 1873, S. 2.
  • Michael Patenge: Zur Vergiftungsproblematik in der Region Thüringen von 1820 bis 1900. Fallbeschreibungen, Noxen, Intoxikationsursachen, Gesetze und Verordnungen (Dissertation), Halle 2010, S. 130ff.
  • Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871. Münchener Digitalisierungszentrum Digitale Bibliothek. Online unter: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11332548?q=(Das+Strafgesetzbuch+für+das+Deutsche+Reich+vom+15.+Mai+1871 (aufgerufen am 19. Oktober 2021).